Es war einmal, vor unendlicher Zeit …

Das grosse Tal zwischen dem Piz Kesch und der Porta d’Es-cha, das heute mit dem Porchabella Gletscher ausgefüllt ist, war vor unendlicher Zeit eine prächtige Schweinealp. Die Hirten hatten den lieben langen Tag kaum zu arbeiten. Tag ein Tag aus liessen sie sich die Sonne auf den Bauch scheinen, nahmen ihre Mitbürger aufs Korn, die unten im Tal der schweren Arbeit nachgingen und liessen es sich gut gehen.

Eines Tages trieben sie es aber so weit, dass sie gar über den lieben Gott scherzten und spotteten. Lange genug hatte dieser dem Treiben der Hirten zugesehen und entschied, dass es nun genug des Guten sei. Tags darauf schickte er einen Engel auf den Weg mit einer Aufgabe: Er sollte sich die Burschen zu Handen nehmen und ihnen zu merken geben, dass auch Schweinehirte nicht unsterblich sind. Verkleidet als alter, armer und hungriger Mann erschien der Engel vor der Alphütte. Mit Tränen in den Augen flehte er die Hirten an, man möge ihm etwas zu Essen geben. Schon seit Tagen hätte er nichts mehr gegessen. Da packte der eine Hirte die Schaufel voll Dreck und warf sie dem Bettler vor die Füsse und meinte: «Das dürfte für dich gut genug sein.» Unter den Hirten begann ein riesiges Gelächter.

Der Bettler bedankte sich und zog weiter. Unzufrieden schüttelte der liebe Gott den Kopf und schickte einen anderen Engel auf den Weg. Als Reisender schritt dieser hinunter zur Hütte und berichtete, man hätte ihn auf dem Weg überfallen und ausgeraubt. Nur dank seiner List sei er den Räubern entkommen und konnte so seine Haut retten. Man möge ihm wenig Speis und Trank geben, der liebe Gott würde sie für Ihre Gutmütigkeit belohnen. «Dass du zum Teufel gehst!» fuhren ihn die Hirten an «Für die Belohnung vom lieben Gott danken wir herzlich!».

Der dritte Engel erschien den Hirten als alte kranke Frau, die sich mühsam am Stock gehend fortbewegte. «Um Gotteswillen, gebt mir essen und Herberge. Habt Mitleid mit mir. Ich werde dafür für euch arbeiten und beten bis an den letzten Tag meines Lebens.» Aber die Herzen der Hirten blieben hart wie der Stein am Piz Kesch. «Scher dich weg von unserer Alp! Von deinem Beten werden unsere Bäuche auch nicht voll.» Die alte Frau bedankte sich und zog weiter.

Nun genug, dachte sich der liebe Gott und schickte seinen eigenen Sohn hinunter. Kaum unten angekommen riefen sie ihm entgegen. «Wer bist du? Dass du dich überhaupt traust in unsere Nähe zu kommen.» Er antwortete: «Ich bin Jesus, der Sohn des lieben Gott.» «So so, auf dich haben wir schon lange gewartet. Und was willst du von uns?» «Ich bitte euch um ein Stück Brot, denn ich habe Hunger» sagte er mit leiser Stimme. «Du willst Jesus sein, der Sohn des lieben Gott?» sagte der Hirt und begann zu lachen. «Unddu  bist nicht im Stande, dir ein Stück Brot zu besorgen um deinen Hunger zu stillen?»

Ein andrer Hirt hob einen Stein auf, reichte ihn dem Gast und meinte: «Angeblich hast du schon so manches Wunder vollbracht, da dürfte es für dich eine Kleinigkeit sein, daraus Brot zu machen.» Und wieder ertönt schallendes Gelächter. Noch während des Gelächters begann es in den umliegenden Gipfeln zu krachen und grollen. Das ganze Tal hüllte sich in einen dicken Nebel. Noch während Jesus die Himmelsleiter emporstieg, verwandelte sich die Alp in ein riesiges Meer aus Eis. Noch heute hört man ab und zu ein leises und dumpfes Gelächter, das aus den Tiefen des Gletschers kommt. Ob es wohl das der Hirten ist?

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